Hier geht es zurück Angies Welt
Samuel Backer reibt sich die Hände am wärmenden Feuer. Für ihn gibt es nichts schöneres, als das Knistern und Lodern  der Flammen im Kamin. Die meisten Menschen finden es einfach nur romantisch, doch für Sam ist es Entspannung, ein bisschen Abenteuerlust und vor allem die Flucht vor dem Alltag.
Damals, als er mit Jean hier am Ufer des Clearwater River die Wintermonate verbrachte, da war es auch für ihn Romantik pur. Wenn sich nachts, bei Minus 25 Grad, ihre Körper suchten und fanden, die Kälte in der Hitze des Liebesrausches vergaßen, dann war er glücklich. Nur er und Jean in der Blockhütte. Abenteuer und Liebe, Liebe und Abenteuer.
Tagsüber streiften sie durch die verschneiten Wälder, wo sich die Bären und Luchse tummelten. Doch kaum hatten sie die Schneeschuhe von den Füßen, da lagen sie auch schon unter den wärmenden Bärenfellen und liebten sich. Die Gefahr in den Wäldern von Kanada, die kalte, klare Frostluft entfachte die Sinne und die Lust immer wieder aufs Neue.
Abends saßen sie am Kamin, tranken Wein, philosophierten, lachten und waren glücklich. Bis dann das geschah, was er immer wieder weit von sich gewiesen hatte. Jene tödliche Gefahr, denen sie fast täglich ausgesetzt waren, vor denen die Freunde ihn immer wieder warnten - Wölfe!
Und wieder einmal wurden Erinnerungen an jenen Tag in ihm wach......

Endlich, nach 3 Jahren vergeblichen bitten und flehen, hatte er Jean überreden können mit ihm ein paar Tage in der Blockhütte zu verbringen. Sie hatte sich immer wieder seinem Drängen wiedersetzt. Jean konnte einfach nicht verstehen, was Sam an diesen kalten Wintertagen und einsamen Nächten dort oben in den Wäldern Kanadas so faszinierend fand.
Im Sommer, ja da wäre sie gerne ein paar Tage mitfahren, aber doch nicht in dieser grausigen, eiskalten Zeit, wo es kaum Leben gab, außer diese immer gefährlichen, raubenden und tötenden Wölfe.
Nun endlich war es soweit. Jean würde mit ihm einige Tage allein in der Blockhütte verbringen. Sam war klar, dass es nicht seine Überredungskunst gewesen ist, oder gar ihre Liebe zu ihm, sondern das der Grund lediglich eine Fotosession war.
Der Winter in Kanadas Wäldern bot einen wunderbaren Kontrast zu dem schmutzigen Schneematsch in den Strassen von New York. Was passte besser zur Winterzeit, wenn alle in ihren kuscheligen und warmen Wohnungen saßen, als diese herrliche Winterlandschaft Kanadas. Jean war Fotografin bei einer Frauenzeitung und sollte diese Fotoserie realisieren.
Eigentlich wollte sie noch eine Kollegin mitnehmen. Tagelang beharrte sie darauf, doch als Sam drohte ohne sie zu fahren, gab sie diese Idee dann doch noch auf.
In den ersten Tagen gab es sehr viel zu tun. Holz musste gehackt werden, die Vorräte gut verstaut und vor allem das Haus vor ungebetenen Gästen gesichert werden.
Da Sam die Blockhütte im Sommer meist unverschlossen ließ, wurde sie auch von Jägern oder verirrten Wanderern genutzt. Deshalb gab es immer wieder etwas, dass ausgebessert werden musste.
Allmählich wurde Jean ungeduldig. Sie wollte am liebsten schnell die Fotos machen und dann wieder zurück nach New York. Sie beklagte sich ständig bei ihm über Langeweile und das schreckliche Heulen der Wölfe. Verheimlichte aber, dass die Gefahr sie doch erregte.

Es war ein schöner, sonniger Tag als sie endlich aufbrachen. Kalt war es. Um die 20 Grad unter Null. Jean wollte unbedingt zum Mount Currie. Wollte die schneebedeckten Gipfel der Berge „"Auge um Auge“ sehen", wie sie es nannte. Samuel wusste, dass dieser Ausflug einige Gefahren in sich barg. Es gab ringsherum nur Berge, Schnee und Wälder. Man konnte sich hier sehr schnell verirren. Nur widerwillig stimmte er zu.
Der Morgen verlief ohne Probleme. Sie erreichten ihr Ziel zügig. Jean machte ihre Fotos und war zum ersten mal von der Landschaft angetan. Sie murrte nicht einmal. Doch als sie sich am frühen Nachmittag wieder auf den Heimweg machten, zurück zu ihrem Blockhaus, das einige beträchtliche Meilen von ihnen entfernt war, begann es heftig zu schneien.
Sie fanden ihre Spuren von Hinweg nicht mehr, verirrten sich im Schneetreiben und in der beginnenden Dunkelheit. Ein Rudel Wölfe wurde zu ihren ständigen Begleitern, die sie belauerten, nur auf eine Gelegenheit warteten sie anzugreifen.
Jean hatte große Angst, machte ihm Vorwürfe und gab Sam die Schuld. Hätte er sie nicht überredet ihn zu begleiten, dann säße sie in ihrem schönen und warmen Apartment. Ihre Nerven spielten langsam nicht mehr mit.
Wütend schlug sie auf Sam ein. Doch er nahm es nicht wahr. Viel zu sehr war er damit beschäftig sich darauf zu konzentrieren, was um ihn herum geschah.
Angestrengt lauschte er in die beginnende Dunkelheit. Immer wieder sah er sich um, glaubte hier und dort einen Schatten zu erkennen. Sam war nicht wohl zu mute und so trieb er Jean immer wieder an schneller zu gehen.
Nach Stunden planlosen Herumirrens wurde Jean müde, zu erschöpft um weiter zu laufen. Sie machten eine Pause - eine verhängnisvolle Pause.
Sam schloss kurz die Augen, konnte der bleiernen Schwere der Augenlider nicht widerstehen. Wenige Minuten nur übermannte ihn der Schlaf und als Jeans Schreie, das Heulen und Knurren der Wölfe in sein Bewusstsein drangen, war es schon zu spät.
Er konnte ihr nicht mehr helfen, musste sich selbst gegen die blutgierige Meute wehren und war nicht in der Lage ihr beizustehen.
Sam gelang es das Rudel in die Flucht zu schlagen –für Jean kam jede Hilfe zu spät. Gern hätte er sie noch einmal in die Arme genommen, doch das was er vorfand, ihren blutüberströmten, zerfetzten Körper, ließ in erstarren. Er rief immer wieder nur ihren Namen, fühlte sich schuldig. Schuldig an ihrem Tod, weil er sie nicht beschützen konnte.
Irgendwann am nächsten Tag fand man Sam. Er  war fast erfroren und der realen Welt weit entrückt.
Als er im Rettungshubschrauber lag, sah er noch einmal hinaus in das strahlende Weiß der Wälder. Glaubte Jean noch einmal zu sehen – ihren schönen schlanken Körper. Sie lächelte ihm zu, winkte und er hörte ihren Ruf.
„"Bleib bei mir Sam!"“
Dann schien sich ihr Gesicht zu verwandeln. Ihr Kopf verformte sich und nahm immer mehr die Gestalt eines Wolfsschädels an. Dieses Bild brannte sich Sam ins Gedächtnis und ließ ihn nie wieder los!
"Jeans makelloser, nackter Körper mit dem Kopf eines Wolfes."

Die ersten Frühlingswochen verbrachte er in einer New Yorker Klinik, doch wurde er die Erinnerungen an jenen, schrecklichen Tag nie ganz los.
Wenn er abends allein im Bett lag, dann sah er wieder Jean vor sich. Nicht die hübsche junge Frau, die er geliebt hatte, die gab es nicht mehr. Sam sah nur noch sie –die "Wolfsbraut".
Er musste wieder nach Kanada und er musste sie finden. Den lockenden Rufen, die ihn Nacht für Nacht erreichten, konnte er nicht wiederstehen.

Drei Jahre waren seit jenem tragischen Tag vergangen, als Sam endlich den Entschluss fasste, wieder in seine Hütte an den Ufern des Clearwater River zu fahren. Er verabschiedet sich von all seinen Freunden. Wohl wissend, dass er nie wieder zurückkommen würde. Er war bereit. Bereit, sich mit "seiner" Wolfbraut zu vermählen! In Kanadas Wäldern hatte alles begonnen und hier wollte er es auch beenden.

Sam hatte eine ruhige Nacht verbracht. Er fühlte sich frisch und ausgeruht. Die befürchteten Albträume blieben aus.
Für den heutigen Tag hatte er sich vorgenommen ausreichend Brennholz zu besorgen.
Er öffnete die Tür und trat vor die Blockhütte. Einige unverwüstliche Raben beobachteten ihn mit listigen Augen.
Instinktiv jedoch spürte er, dass irgendetwas nicht stimmte. Zu viele kanadische Winter hatte er hinter sich, seine Sinne in den Jahren geschult.
Ausgenommen einmal als.......
Sam blickte zum Wald. Sekunden hielt er inne. War dort nicht jemand gewesen? Waren es nicht Wölfe, die hinter den Bäumen zu lauern schienen?
Für einen Augenblick glaubte er im Schatten der beginnenden Dunkelheit einen Frauenkörper am Horizont zu erkennen.
Sam erstarrte.
Doch sofort faste er sich wieder, rannte ins Haus und griff nach seinem Jagdgewehr.
Aus dem Fenster heraus beobachtet er das kleine Rudel Wölfe, das nun langsam auf die Hütte zukam.
Doch was war das? Trat da wirklich zwischen all diesen Bestien eine Frau hinter den Bäumen hervor?
Ja, er täuschte sich nicht, es war wirklich eine Frau, jung und schön. Offensichtlich sprach sie mit den Tieren.
Sam glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die Meute schien ihr aufs Wort zu folgen. Sie legten sich flach auf den Boden und wurden friedlich wie gut dressierte Hunde.
Die Frau lächelte und kam langsam auf das Haus zu. Sam glaubte sie zu kennen.
Er kramte in seinen Erinnerungen, doch wollte sein Verstand die Bilder die er suchte nicht wieder freigeben.
Es klopfte. Sam öffnete die Tür und schaute die Frau, die mit einem verführerischen lächeln ihm gegenüber stand, ungläubig an. Ohne eine Antwort abzuwarten trat sie ins innere der Blockhütte.
Sam folgte ihr, immer noch unfähig ein Wort zu sagen, ging er sprachlos hinter ihr her.
“"Ich heiße Jean!“" Sie reichte ihm die Hand.
"“Backer - Samuel Backer.”"
Sam nahm die ihm dargebotene Hand. Sie fühlte sich weich und warm an. Aber warum war diese Hand so warm? Es mussten draußen mindestens 10 Grad Kälte herrschen!
"Möchten sie einen Kaffee?", konnte Sam nach Sekunden des Schweigens mühsam hervorbringen.
"Danke gern. Hauptsache es ist etwas Warmes“", antwortete eine wohlklingende und wie es Sam schien, ihm vertraute Stimme.
Während er den Kaffee kochte schaute er sich die junge Frau genauer an.
Sie trug einen warmen Fellmantel. Möglicherweise aus Wolfsfelle hergestellt. Er war kein Fachmann, kannte sich mit Felle nicht aus.
Was ihm aber an dieser Frau besonders auffiel, war ihr pechschwarzes, leicht bläulich schimmerndes Haar und die Augen. Sie waren blau, strahlten hell wie Kristalle und schienen alles in ihren Bann zu ziehen. Auch Sam konnte ihren Blicken nicht entfliehen und schon jetzt, das fühlte er, war er dieser Frau verfallen.
“"Bitte.“" Sam reichte ihr die heiße Tasse Kaffee.
"Danke, Sam. Darf ich meinen Mantel ausziehen? Es ist sehr warm hier“."
Ehe Sam antworten konnte, begann sie sich ihres Fellmantels zu entledigen. Unter ihrem Mantel war sie nackt - vollkommen nackt! Ihr Körper war makellos. Ein Traum für jeden Mann.
Fasziniert starrte er die Frau an.
Wären da nur nicht diese kleinen Härchen, die ihren Körper fast ganz bedeckten. Sie machten selbst vor ihrem schönen Busen nicht halt.
Als Sam etwas sagen wollte, legte sie ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen, nahm seine Hand und führte sie zu ihren Brüsten.
Sam schaute sie an. Ihre Augen leuchtete mit solcher Kraft, das er wie hypnotisiert, mechanisch ihre Brüste streichelte. Dabei durchlief seinen Körper ein prickelnder Schauer. Es fühlte sich an, als streichelte er einem Tier das Fell. Sam spürte plötzlich die Erregung, die diese pelzige Haut in ihm hervorrief.
Als sie ihn sacht auf den Boden drückte, ihn ebenfalls auszog, ließ er es willenlos geschehen, nahm alles nur noch durch einen vernebelten Schleie wahr.
Wie ihn Trance sah er die Frau, die sich rittlings auf ihn setzte und sich seiner wie selbstverständlich bediente. Er erlebte Wonnen höchster Ekstase, unfähig zu denken. Nur ein wahnsinniges, berauschendes Gefühl erfüllte seine ganzen Sinne.
"Sam, endlich bist du da.“" Er sah das Gesicht der Frau über sich, hörte ihre Worte. Und nun hatte er Gewissheit und erkannte sie wieder.
“"Jean! Oh Jean! Warum warst du so lange fort?“"
Für wenige Augenblicke kamen die Erinnerungen in Sam zurück. Dann schloss er die Augen. So konnte er nicht mehr sehen, wie sich dieser anmutige Körper langsam wieder zurück verwandelte. Er hörte nicht mehr ihre Lustschreie, die wie Wolfsgeheul in der Nacht klangen.
Für Sekunden schaute er noch einmal auf, wollte Jean zu sich herunterziehen, wollte ihre Lippen ganz nahe an den seinen spüren. Was er dann sah, konnte sein Verstand nicht mehr verarbeiten.
Ein Wolfskopf beugte sich über ihn. Riesige Reißzähne näherte sich seinem Hals und bissen zu.
"“Nun sind wir für immer vereint.“"
Sam nahm diese Worte wie aus weiter Ferne wahr. Er sah nur noch Jean, sah die Bilder, wie sie sich vor fünf Jahren zum ersten mal liebten. Auch damals beugte sich Jean  zu ihm hinunter, biss ihm zärtlich in den Hals. Spielerisch nur und doch so fest, das es eine kleine, blutende Wunde hinterließ.
Damals wie heute flüsterte sie ihm die gleichen Worte leise ins Ohr:
"“Nun sind wir für immer vereint!“"
Sam schaute noch einmal auf. Ein strahlendes Licht erfüllte die grauen Augen in die er nun blickte und die seinen Willen zu lähmen schienen. Er sah Jean zu, wie sich ihr Aussehen immer wieder veränderte. Mal war sie ein Wolf und dann wieder Jean. Seine Jean!
Sam Backer hatte endlich sein Glück für immer gefunden. Zärtlich streichelt er das Fell der Wölfin und biss ihr liebevoll ins Ohr. Langsam wurde es dunkel um ihn herum.

Jean verließ die Blockhütte und ging auf das Rudel Wölfe zu. Sie schien glücklich zu sein. Lächelnd schnippte sie mit den Fingern und die hungrigen, blutdürstigen Bestien sprangen in die Hütte und vollendeten, was sie begonnen hatte.
Mit leichten Schritten, fast schwebend verschwand die "Wolfsbraut" in der Dunkelheit. Einem Schatten gleich, drang sie in die Tiefen der kanadischen Wälder ein. Doch sie ist nicht mehr allein. An ihrer Seite begleitet sie nun ein großer, stattlicher Wolf.

Wochen danach fand man das Auto von Samuel Backer. Von ihm selbst gab es keine Spur. Nichts in seiner Hütte deutete auf Wölfe oder auf ein Verbrechen hin. Die Hoffnung, dass sein Leichnam im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, entdeckt wird erfüllte sich nicht. So galt Sam für immer bei der Polizei als vermisst.
In kalten Wintermonaten, wenn die Ufer des Clearwater River wieder mit Eis bedeckt sind und die klaren Vollmondnächte ihre Schatten werfen, sieht man am fernen Horizont, in den Tälern des Mount Currie, zwei Wölfe eng aneinander geschmiegt.
So erzählen es sich die kanadischen Trapper, wenn sie, der Einsamkeit entronnen sich in den Bars treffen. Und jeder weiß, dass kann nur Sam Backer und seine Wolfsbraut sein.



........ Ende ..........





Die Wolfsbraut (C) Mai 2003 by Heinz Oh. - Online seit:01.08.2003 - Klicks heute:1 - Klicks gesamt:1959.